E. S. J. Borchwards Reise nach Potsdam
Eine Schlossbesichtigung im Jahre 1749
Ernst Samuel Jacob Borchward, Resident des Markgrafen zu Brandenburg-Kulmbach-Bayreuth am preußischen Hof, bereiste im Jahr 1749 die Residenzstadt Potsdam und fasste seine Beobachtungen schriftlich zusammen. Der vorliegende Aufsatz ist eine erweiterte und für die digitale Veröffentlichung überarbeitete Fassung meiner gleichnamigen Abhandlung in: Pegah/Dilba 2012, S. 22–36. Mein Dank gilt Jürgen Luh, Petra Raschkewitz und Franziska Windt für zahlreiche Hinweise sowie für die kritische Durchsicht des Manuskripts. Weiterhin danke ich Michael Knobloch und Christian M. Geyer, die mir auf Vermittlung von Brunhilde Wehinger ihre Manuskripte des geplanten Tagungsbandes der internationalen Tagung »Reiseziel Potsdam im 18. Jahrhundert« am 19. Juni 2009 in Potsdam zur Verfügung stellten. Margitta Tretter, Ralf Zimmer und Evelyn Zimmermann bin ich für die Hilfe bei der Bild- und Quellenrecherche zu Dank verpflichtet. Da er Potsdam, wie er in der Vorrede seines Manuskripts hervorhebt, schon mehrfach vorher besucht hatte, beschränkt sich Borchwards Beschreibung auf jene Veränderungen, die dort in den vergangenen vier Jahren vom jungen preußischen König Friedrich II. unternommen worden waren. Sein Rundgang führt ihn vom Potsdamer Stadtschloss mit angrenzendem Lustgarten zum Park und Schloss Sanssouci oberhalb des gerade angelegten Weinberges. In beiden Schlössern hat Borchward die Gelegenheit zur Besichtigung, so dass er auch von deren Räumlichkeiten und ihrer Ausstattung mit Möbeln, Gemälden, Porzellanen, kostbaren textilen Wandbespannungen usw. berichten kann.
Borchwards Bericht ist generell im Kontext von Reisen und Reisebeschreibungen in der Epoche der Aufklärung zu sehen. Er ist ein frühes Beispiel des bürgerlichen Reiseberichts, der im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts zu einem populären literarischen Genre avancieren sollte und gegen Ende des Jahrhunderts seine Blütezeit erlebte. Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurden breitere – jetzt auch bürgerliche – Gesellschaftsschichten ökonomisch zunehmend in die Lage versetzt, kürzere und längere Reisen antreten zu können. Ein Überblick über verschiedene Reiseformen und den Forschungsstand findet sich bei Rees/Siebers 2005. – Eine Übersicht über die Reisebeschreibung der Aufklärung in der interdisziplinären Forschung gibt jüngst Siebers 2009, S. 9–18. Waren es seit dem 16. Jahrhundert zumeist Söhne des europäischen Adels, deren Ausbildung in vielen Fällen eine Kavaliersreise, die Grand Tour, durch Mitteleuropa, Italien, Spanien und andere Länder vorsah, um verschiedene europäische Fürstenhöfe kennen zu lernen und Kontakte zu knüpfen, reisten im 18. Jahrhundert zunehmend auch erwachsene Angehörige des gehobenen Bürgertums allein wegen des Bildungserlebnisses. In den letzten Dekaden des Jahrhunderts hatte die Reiselust derart zugenommen, dass die von Christoph Martin Wieland herausgegebene Literaturzeitschrift »Der Teutsche Merkur« vermerkt: »In keinem Zeitalter der Welt wurde so viel gereist, als in dem unsrigen, wo das Reisen zu einer Art Epidemie geworden ist.« Archenholz 1784, S. 151–160, Zit. S. 151. Die Reise diente nun nicht mehr der Erziehung, der Verfeinerung der Umgangsformen und dem Kennenlernen fremder Verwaltungs‑, Bildungs- oder Wirtschaftssysteme, sondern dem individuellen Erleben fremder Völker und Regionen sowie dem Bestaunen von Bau- und Kunstwerken als Teil eines bürgerlichen Bildungskanons. Damit unterschied sich die bürgerliche Bildungsreise – bei allen Gemeinsamkeiten – auch von den humanistischen Gelehrtenreisen früherer Jahrhunderte, deren Ziel in der umfassenden Aneignung akademischer Bildung bestand.
Ein Indiz für die zunehmende Reisetätigkeit ist auch die auffällige Zunahme von Veröffentlichungen. Bereits seit dem späten 16. Jahrhundert entstanden mit gedruckten Apodemiken frühe theoretische Reiseinstruktionen als eigene literarische Gattung. Einführend v. a. Stagl 1980, S. 353–384. Sie geben Anweisungen zum »richtigen« Reisen, zum methodischen Vorgehen, zum Verhalten, aber auch zur gewinnbringenden Art des Beobachtens und zum Beschreiben des Gesehenen. Fast immer empfehlen sie das Führen eines Reisetagebuchs, das die Grundlage eines im Anschluss an die Reise abzufassenden, umfassenden und kritischen Berichts bilden sollte. In der »Nach=Erinnerung« deutet Borchward an, dass er sich dieser apodemischen Forderung bzgl. Reisenotizen bewusst sei, sie aber angesichts der Kürze seines Potsdam-Aufenthalts nicht eingehalten habe. Ansonsten seien Reisen »von schlechten Nutzen, und sehr nach der Mode unserer jungen Herrn […]«, die ohne umfassende Vorbereitung und nur zum kurzweiligen Plaisir reisen. Neben den theoretischen Diskursen und praktischen Ratschlägen für den Reisenden enthalten viele Apodemiken katalogartige Auflistungen von »Sehenswürdigkeiten« bzw. »Merckwürdigkeiten«, die vom Reisenden aufzusuchen sind. Zu den herausragendsten Sehenswürdigkeiten eines jeden Besichtigungsprogramms gehörten dabei die Schlösser, Vgl. die »synoptische Tabelle« in: Nathan Chytraeus: Variorum in Europa itinerum deliciae, Herborn 1594, abgebildet bei Stagl 1980, S. 363. was durch deren zahlreiche Nennung in den vor allem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vermehrt verfassten Reisehandbüchern, Reiseführern, topographischen Beschreibungen und landeskundlichen Werken belegbar ist. Diese berühren sich zum Teil mit der apodemischen Literatur, sind ihr aber nicht im eigentlichen Sinn zuzurechnen, da ihnen der refektierend-belehrende Charakter fehlt. So erschien im Verlag des Berliner Schriftstellers, Kritikers und Buchhändlers Friedrich Nicolai bereits 1769 in erster von zahlreichen Auflagen die »Beschreibung der königlichen Residenzstäde Berlin und Potsdam«. Nicolai nennt die bedeutenden Bauwerke beider Städte, liefert geschichtliche Hintergründe, schreibt von ihren Bewohnern, von Gewerben, Institutionen und ihren Bildungseinrichtungen, und spiegelt damit die Interessenlagen seiner (reisenden) Leserschaft. Auch hier fanden die Schlösser und ihre Ausstattung besondere Beachtung.
Schlösser waren bereits seit dem Mittelalter wichtige Reiseziele des Adels, die im Zuge des adligen Hofbesuchs aufgesucht wurden. Davon ist der bürgerliche Schlossbesuch der frühen Neuzeit abzugrenzen. Siehe hierzu: Völkel 2007. Galt bei ersterem das Interesse der Fahrt nicht primär dem Schloss, sondern dem Hof, so war bei letzterem das Interesse an der Bau- und Gartenkunst Anlass der Reise. Anstelle eines bisweilen längeren Hofaufenthalts trat hier nun die in Stunden bemessene Besichtigung. Neben der eigenen ästhetischen Erziehung ermöglichten die Besichtigungen dabei eine zeitlich befristete Teilhabe an der sonst kaum zugänglichen Welt des Herrschers. Dabei erstaunt, dass es den Reisenden in der Regel überhaupt möglich war, nicht nur die Parks und Schlösser als touristische Attraktion von außen zu besichtigen, sondern auch Zugang zu deren Innenräumen und Kunstwerken zu erhalten. Generell bestand innerhalb des höfischen Zeremoniells des Absolutismus ein streng reglementierter und hierarchisch gestufter Zugang zum König bzw. seinen öffentlichen oder gar privaten Gemächern. Nicht alle Gesandte oder Bittsteller wurden bis in das Audienzzimmer oder dahinterliegende Privaträume des Souveräns vorgelassen, oftmals bildete eines der Vorzimmer die nicht zu überschreitende Grenze. Das Schloss, seine Räumlichkeiten und ihre Ausstattungen dienten nicht allein der Repräsentation, sondern vor allem auch der Distinktion. Borchward aber standen selbst das Schlafzimmer Friedrichs II. im Schloss Sanssouci und die dortige Kleine Galerie, die mit der Bibliothek gleichsam den privatesten Teil seines Appartements darstellte, offen. Die Möglichkeit einer im heutigen Verständnis »touristisch« motivierten Schlossbesichtigung zeigt sich eng verknüpft mit der jeweiligen gesellschaftlichen Stellung der Besucher: Herausgearbeitet von Völkel 2007, auf die sich die folgenden Aussagen beziehen. Ebd. die weiterführende Literatur. Zugang erhielt einerseits ein eng begrenzter, sich in den höfisch-sozialen Hierarchien bewegender Personenkreis, dessen Protagonisten ihre soziale Stellung an der Nähe zur Person des Monarchen bzw. dem fein austarierten Zugang zu dessen Repräsentationsräumen maß. Andererseits stand spätestens seit dem 17. Jahrhundert diese Welt auch den außerhalb der höfischen Hierarchie stehenden Personen offen, die Schlösser und ihre Einrichtungen als Sehenswürdigkeit besuchten. Vertretern dieser eigentlich nicht courfähigen Gruppe wurde bei Schlossbesichtigungen Zugang zu Räumen ermöglicht, der einem innerhalb der hierarchischen Rangfolge stehenden »ofiziellen« Besucher oftmals verwehrt blieb. Selbst die innerhalb des Zeremoniells dem Fürsten vorbehaltenen Räume wie Schatzkammern und Kabinette wurden ihnen in der Regel zugänglich gemacht. Hierzu gehört z. B. das Porzellankabinett im Schloss Charlottenburg, das in der frühen Regierungszeit Friedrichs II. zur Besichtigung empfohlen wird. Schramm 1744, Sp. 144; vgl. Völkel 2007, S. 42. Warum also war eine derartige »bürgerliche« Schlossbesichtigung möglich? Den Besuchern der Schlösser – seien es Untertanen des Fürsten oder ausländische Reisende – wurden die herrscherlichen Repräsentationsmaßnahmen uneingeschränkt vor Augen geführt. Die Prachtfülle der Räume und ihre ikonographische Ausstattung wurden bestaunt und, wie den Reiseberichten zu entnehmen ist, unmittelbar auf den Herrscher zurückgeführt. Hierüber geben auch die Aufzeichnungen Borchwards beredten Aufschluss: Der Marmorsaal des Schlosses Sanssouci sei »wieder ein starcker Zeüge, daß ihn ein großer | und kluger König erbauet, und darinn an seltener Pracht gewiß nichts gespahret hatte« – das Schloss ist sichtbarer Ausdruck der guten Regierung, der Sitz des Fürsten wird als Ort seines Wirkens präsentiert. Siehe hierzu Völkel 2007, S. 70f. Letztendlich diente die Gewährung derartiger Besichtigungstouren also der Bestätigung sozialer Ordnungen sowie der Sicherung der fürstlichen Herrschaft und der fürstlichen Propaganda.
Aus diesem Grund standen auch die Schlösser Friedrichs II. dem interessierten Publikum offen. 1749, bei Abfassung des Reiseberichts von Borchward, existierten erst das Potsdamer Stadtschloss und Schloss Sanssouci. Hiervon ausgenommen waren lediglich einige Räume wie die Bibliothek im Schloss Sanssouci und im Neuen Palais, für deren Besichtigung es der Genehmigung des Königs bedurfte. Nicolai 1786, Bd. 3, S. 1215, Anm. **, S. 1238, Anm. *. Die vom königlichen Inspektor der Bildergalerie Matthias Oesterreich seit 1764 in deutscher und französischer Sprache herausgegebenen Beschreibungen der im Schloss und dem angrenzenden Galeriegebäude von Sanssouci, im Neuen Palais, Potsdamer Stadtschloss und im Schloss Charlottenburg gezeigten Gemälde, Skulpturen und anderer Kostbarkeiten zeugen von der Möglichkeit, die dortigen Kunstsammlungen zu besichtigen. Ein Reisender berichtet von seinem Besuch in der Bildergalerie im Sommer 1773: »Er [i. e. Oesterreich] überreichte der Prinzeßin von Oranien [Wilhelmine von Preußen] eine gedruckte, Ihr von ihm zugeeignete, ganz neue Beschreibung aller, so wohl daselbst gegenwärtigen, als auch der in dem neuen Palais befindlichen Gemälde, welche sehr gnädig aufgenommen wurde.« Borchmann 1778, 44. Brief, S. 320. Bei der genannten Beschreibung handelt es sich vermutlich um die 1773 erschienene »Beschreibung aller Gemählde, Antiquitäten, und anderer kostbarer und merkwürdiger Sachen, so in denen beyden Schlößern von Sans-Souci, wie auch indem Schloße zu Potsdam und Charlottenburg enthalten sind«. Die Publikationen »der Sammlung des größten Monarchen, den die Welt je gesehen hat«, Oesterreich 1775, S. 2. so die Vorbemerkung in einem dieser Kunstführer, sind sicher von Friedrich autorisiert worden und Ausdruck der königlichen Repräsentation. Sie verbreiteten das Wissen um die reichen Sammlungen eines kunstliebenden Königs und strahlten auf diesen zurück. Und auch die Schlossbeschreibungen von Nicolai, Manger, Manger 1789/1790. Büsching Büsching 1780. und anderen werden ein Übriges getan haben, die Bekanntheit der friderizianischen Schlösser und ihrer Ausstattung zu steigern. Durch den Druck einer Vielzahl von Führern und exakten Hängeplänen bemühte man sich, die rege Nachfrage eines Publikums vor Ort zu befriedigen, das sich in den Parks und Schlössern mit Hilfe dieser Publikationen zu orientieren suchte. Eine Auflistung der von Oesterreich zwischen 1763 und 1773 herausgegebenen Beschreibungen, Führer und Hängepläne findet sich in: Locker 2006, S. 231–234. In der dritten, 1786 erschienenen Ausgabe schließen Nicolais Beschreibungen der Potsdamer Schlösser und ihrer Ausstattung entsprechend mit der Wendung: Wer das Schloss – d. h. das Potsdamer Stadtschloss, Schloss Sanssouci oder das Neue Palais mit dem Antikentempel im Park – sehen wolle, der melde sich beim jeweiligen Königlichen Kastellan namens Knopff, Hackel oder Reichenbach, im Falle eines Besuchs der Bildergalerie beim dortigen Aufseher Herrn Brandenburger. Nicolai 1786, Bd. 3, S. 1139, 1148, 1212, 1220, 1234, 1245. – In der ersten Auflage von 1769 fehlen diese Hinweise noch. – Der Galeriewärter Johann Andreas Brandenburg[er] (1738–1802) bot den Besuchern »geschriebene Arrangements der Gemählde« an und führte die Gäste durch die Bildergalerie. Vom künftigen Galeriewärter wurden nach Brandenburgs Ausscheiden »mehr Kunstkentniße erfordert […] als der bisherige gehabt«. Siehe hierzu Eckardt 1974, S. 20f. Beim Potsdamer Stadtschloss schien zudem der Hinweis notwendig, der Kastellan wohne »im Eckrisalite nach dem alten Markte und der Schloßstraße«. Auch Georg Meusel führt ganz selbstverständlich die »Gemähldesammlung im Königl. Schloßs« und die Bildergalerie zu Potsdam in seinem »vorzüglich für Reisende« bestimmten Verzeichnis sehenswürdiger Bibliotheken, Kunst- Münz- und Naturalienkabinette in Deutschland auf. Meusel 1778/1789, Bd. 1, Vorerinnerung o. S. und S. 229, Bd. 2, S. 369f.
Ebenfalls standen die friderizianischen Gärten Besuchern zumindest teilweise offen. Einen lesenswerten Überblick gibt Büstrin 2007, S. 26. Ich danke Jörg Wacker für den Hinweis auf diesen Artikel. – Zur Tradition des »offenen Gartens« seit dem 15. Jh. s. Völkel 2007, S. 63–67, zur Öffentlichkeit von Gärten im 18. u. 19. Jh. zuletzt und umfassend Stubbe 2011, S. 249–272. Davon zeugt die strenge Parkordnung, die 1741 von der Kurmärkischen Kriegs- und Domänenkammer für den »Königl[ichen] LustGartten zu Charlottenburg« erlassen wurde und bei Vergehen mit »empfindlichen Leibes-Straffe« droht. SPSG, Hist. Akten, Nr. Ak 102, fol. 260v–261r. Dieses »mandatum poenale« reagiert auf ein Schreiben des Hofgärtners Joachim Arndt Saltzmann vom 29. Mai 1741, in dem dieser sich beklagt, dass »die bürgerwache alle gemeine leutte hinein lauffen lassen so nicht als allerhand unfug darin anrichten […] Desfals ich Ew. Königl. Mayst. Allerunterthänigs habe bitten sollen […] den burgemeister Witten in Charlottenburg anzubefehlen das er die bürgerwache dahin halten muß das die gemeinen leutte aus den gartten bleiben müssen. auch habe noch unterthänigs bitten sollen das Ein schrifftliche ordere ergehen möchte so ich bey den Eingang des gartten köntte anschlagen damit es Jederman lesen kan zur bestraffung der übelthat […].« SPSG, Hist. Akten, Nr. Ak. 102, fol. 259r. Für eine Identifizierung der Dokumente danke ich Clemens Alexander Wimmer. Deren Wortlaut ist abgedruckt in: Wimmer 1983, S. 17f. Diese am Garteneingang ausgehängte Ordre wurde notwendig, da »alle gemeinen Leuthe hineingelassen werden, welche allerhand Unfug darinnen anrichten, absonderlich die Statuen beschädigen, und die Blumen abbrechen«. Als Reaktion hierauf wurde dem Charlottenburger Bürgermeister befohlen, »die Bürger-Wache dahinn anzuweisen, daß sie die gemeinen Leuthe von den […] Königl[ichen] Garten zurückehalten, und denen selben den Eingang nicht verstatten sollen«. SPSG, Hist. Akten, Nr. Ak. 102, fol. 260r. Dass Besuchern höheren Standes der Eintritt auch in den Lustgarten am Potsdamer Stadtschloss gewährt wurde, bezeugt das 1744 erschienene Neue Europäische Historische Reise=Lexicon. Es listet den Lustgarten unter den zu betrachtenden »Merckwürdigkeiten« der Stadt auf. Schramm 1744, Sp. 1455. Und auch die Gartenanlagen von Sanssouci waren keineswegs ausschließlich dem König mit seinem Hof vorbehalten. Man hatte sich – so ein 1763 entstandener Bericht Pallas 1992, S. 49. Der Naturforscher P. S. Pallas (1741–1811) unternahm 1763 eine kurze Reise von Berlin nach Potsdam, von der er in seinem Tagebuch berichtet. – beim linker Hand des Parkeingangs wohnenden Gärtner um die Eintrittserlaubnis zu bemühen, was wiederum eine soziale Selektion der Besucher bewirkt haben dürfte. Z. B. ergeht am 10. März 1784 eine Meldung vom Hofgärtner Friedrich Zacharias Saltzmann an Friedrich II., dass Brücken im Park von Sanssouci eingebrochen seien und der aktuelle Zustand liederlichem Gesindel eine allzu freie Passage gewähre. SPSG, Hist. Akten, Nr. 6, fol. 30r. Für diesen Hinweis danke ich Rita Hofereiter. – Am 2. Juni 1788 ergeht die Ordre der kgl. Garten-Inspektion, unerlaubte »Thüren, Thorwege und Durchgänge« zum Park Sanssouci schließen zu lassen, um den »Zulauf von allerhand Pöbel zu verhindern«, da Friedrich Wilhelm II. bei der Promenade dadurch gestört werde. Sello 1888, S. 417f., Nr. 80. Analog zu den gedruckten Guiden der Kunstsammlungen von Matthias Oesterreich und diesen sowohl im Format als auch im Aufbau entsprechend, erschien 1772 ein Gartenführer des Hofgärtners Friedrich Zacharias Sal(t)zmann in Ergänzung eines in Kupfer gestochenen »Haupt-Plans von Sans-Souci«. Salzmann 1772 – Der Gesamtplan des Parks Sanssouci von Johann Friedrich Schleuen nach Friedrich Zacharias Saltzmann erschien 1772 unter dem Titel »Plan des Palais de Sanssouci«; Radierung, koloriert, 46,1 x 82,2 cm, SPSG, Planslg. Nr. 7416. Dieser Plan und der begleitende Führer zu den Sehenswürdigkeiten des Schlossparks zielten offensichtlich auf ein Publikum von Gartenbesuchern, das sich mit diesen Hilfsmitteln in den ausgedehnten Parkrevieren orientierte und informierte.
Der große Wert der hier erstmals edierten Quelle beruht vornehmlich auf dem Zeitpunkt ihrer Entstehung und der Genauigkeit ihres Inhalts. Ernst Samuel Borchwards Besuch in der Residenzstadt Potsdam fällt in das Jahr 1749. Neun Jahre zu vor hatte Friedrich II. die Nachfolge seines Vaters, Friedrich Wilhelm I., als König in Preußen angetreten. Sein wohl bekanntestes Bauprojekt ist Schloss Sanssouci, das Friedrich 1744 als Sommerresidenz oberhalb eines terrassenförmig angelegten Weinberges am Rande der Stadt Potsdam begonnen hatte. Zuletzt und umfassend Giersberg 2005. 1744 erwarb Friedrich II. den Weinberg und das umliegende Areal, am 10. August 1744 wurde die kgl. Kabinettsorder für die Anlage der Weinbergterrassen unterzeichnet, die Erdarbeiten am Weinberg begannen unmittelbar danach; die Kabinettsorder zum Bau des »Lust-Hauses zu Potsdam« datiert vom 14. April 1745. Die Einweihung des unter der Leitung des Architekten Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff (1699–1753) errichteten Baus durch seinen Bauherrn erfolgte am 1. Mai 1747. Bereits Anfang November 1745 war der Rohbau unter Dach und der Außenbau im Frühjahr 1746 mit Ausnahme der Kolonnade und der Bauplastik vollendet. Im Sommer 1746 begannen die Arbeiten an den Innenräumen, Den Beginn des Innenausbaus markiert der am 18. Juli 1746 von Friedrich II. genehmigte Kostenanschlag »derer Bildhauer, Stuccatur und Verguldungs Arbeith von denen Neuen Cammern, welche in dem Weinbergs Pallais sollen verfertiget werden«. GStA PK, 1. HA, Rep. 14 F Potsdam Nr. 7. Für jeden Raum werden die jeweiligen Arbeiten genannt, lediglich die Kleine Galerie und der Marmorsaal, die beiden zuletzt fertiggestellten Schlossräume, bleiben unerwähnt. und die Ausstattung der Räume mit kostbaren Bildern, Möbeln, Wandbespannungen, Skulpturen und Kronleuchtern scheint zügig vorangegangen zu sein. Borchward beschreibt also just den Zustand des fertig eingerichteten Schlosses, der sich ansonsten nur durch Rechnungsbelege Bauakten und Rechnungen aus dem ehem. Königlichen Bauarchiv befinden sich heute im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK), Teile der Bestände sind seit 1945 verschollen. und wenige Skizzen Vgl. Giersberg 2005, S. 40–50. nachvollziehen lässt. Erste, die Innenausstattung des Schlosses betreffende Inventare sind aus den Jahren nach 1782 überliefert. Schlossinventare aus den Jahren 1782, 1796, 1825, 1845 und 1936 befinden sich in der Graphischen Sammlung/Plankammer der SPSG. Für die Grundrissdispositionen und Aufrisse sind wir besser informiert u. a. durch die eigenhändigen Skizzen Friedrichs, die Architektenentwürfe des Knobelsdorff’schen Baubüros sowie die von Borchward genannten Stiche von Trosberg und Schleuen. Durch Borchwards Überlieferung ist nun auch die Einrichtung des Schlosses für die frühen Jahre zu verifzieren. Dies gilt auch für die von ihm aufgesuchten Räume des Potsdamer Stadtschlosses, eines älteren Baus aus dem späteren 17. Jahrhundert, der von Friedrich als Winterresidenz genutzt wurde und in den 1740er Jahren eine grundlegende Umgestaltung erfuhr. Giersberg 1998, S. 55–88. Gleichwohl bedarf Borchwards Bericht stets einer kritischen Überprüfung, da er aus der Erinnerung an seine Reise schreibt, bisweilen Details der Raumausstattungen verwechselt oder falschen Räumen zuweist und über die jüngst erfolgten Baumaßnahmen am Potsdamer Stadtschloss nicht immer zuverlässig berichtet. Dies trübt jedoch kaum den Wert der Quelle, lassen doch sowohl Borchwards Fehler der Zuschreibung als auch die geschilderten Details auf die Werturteile und Kunstrezeption seiner Zeit schließen. Unverkennbar ist dabei sein Bestreben um eine authentische und sachliche Wiedergabe des Erlebten und Gesehenen, nur selten verfällt er in den Duktus des Anekdotischen, des Kritisch-Wertenden (so etwa in der Erwähnung des Spinnennetzes aus vergoldeter Bronze an der Decke des Konzertzimmers) oder, bei der Beschreibung des Ruinenberges, ins Erzählerisch-Weitschweifige. Zugleich wird in Borchwards Schilderung das Bemühen deutlich, sich – seines Standes wohl bewusst – als weltläufig Bewanderter zu präsentieren und bei der Beschreibung der Kunstwerke seinen weiten Bildungshorizont durchscheinen zu lassen. So gilt ihm Italien als Referenzort für Schönheit, er übersetzt lateinische Inschriften, nennt französische Buchtitel und hebt verschiedentlich seine Kenntnisse der Kunstgeschichtsschreibung hervor. Entsprechend weiß er die bekannte Anekdote von Holbein und der Fliege geschickt einzuflechten, um die illusionistischen Qualitäten in den Blumenstillleben mit Insekten des Jacob (?) von Huysum hervorzuheben. Nach dieser in verschiedenen Fassungen von Erasmus von Rotterdam, Charles Patin und Horace Walpole bekannten Geschichte habe Hans Holbein d. J. als Probe seiner Geschicklichkeit einem Porträt heimlich eine Fliege auf die Stirn gemalt. Erst bei dem Versuch, die Fliege davonzujagen, wurde die täuschende Illusion erkannt und die Kunstfertigkeit des Malers gerühmt. Borchward bedient sich verschiedentlich der Kategorie »Natürlichkeit« im Sinne täuschender Naturnachahmung als Wertmaßstab seiner Kunst-Beurteilung. So schreibt er zu den sächsischen Porzellanvasen im Potsdamer Stadtschloss, dass bei den auf ihnen dargestellten »Bluhmen, Vögel und Thieren die pure Natur wahr zu nehmen war. Unter den beÿden Letztern war eine Stieglitze, und eine Fliege am glücklichsten nachgeahmt.« Die Feinheit des Gewandes der Statuen von François Gaspard Adam im Marmorsaal von Sanssouci komme der »natürlichen Leinwand an den meisten Stellen vollkommen gleich«. Eine andere Kategorie, die Borchward vornehmlich auf die Gemälde bezog, war jene der »Schicklichkeit« der Darstellung. So hing über einem Kanapee des Stadtschlosses ein »trefflich Gemählde«, welches jedoch in seiner erotischen Darstellung »züchtige Augen starck beleidigte«. Besonders an den Gemälden betont er deren Fähigkeit, Gefühle beim Betrachter zu evozieren, und antizipiert dessen Reaktion: Nahezu jeder Figur eines Konversationsstückes sei anzusehen, »was sie denckt und sagt«. Bei der Darstellung eines Mädchens und eines Hundes, die um ein Butterbrot streiten, könne man »sich nicht enthalten, laut zu lachen, wann man das Natürliche in diesem kleinen Gezänkke betrachtet«. Und auch die lasttragenden Satyrn der Gartenfassade von Sanssouci lassen den Betrachter gleichsam mitleiden, amüsieren ihn aber auch.
Als Bezugspunkt seiner die Architektur betreffenden Werturteile dient Borchward die Antike: Er lobt die durch die Kolonnade bewirkte »antique römische=Gestalt« des Potsdamer Stadtschlosses; die Ränge des dortigen Theaters reichen »nach römischer Art als ein Amphitheatrum, fast biß an die Decke« und die Häuserreihe zwischen Stadtschloss und Garnisonskirche seien auf Kosten des Königs »nach römischer Art« neu errichtet worden. Der Obelisk im Park Sanssouci bereite den Besucher auf den »antiquen Geschmack« vor, der das Sommerschloss auszeichne; die Säulenordnung der Kolonnade der Ehrenhofseite »macht das königl[iche] Schloß von der einen Seite gleichsam zu einem antiquen römischen Tempel«.
Eine weitere Kategorie der von Borchward beschriebenen »Merckwürdigkeiten« ist die Seltenheit Dies gilt sowohl für Kunstwerke als auch für Pflanzen. oder Einzigartigkeit. Das Genannte ist trefflich, rar und teuer, bisweilen prächtig, zumindest aber ansehnlich. Artig meint ›regelmäßig‹ (z. B. artig angelegten Lust= und Bluhmen Stücken) oder auch ›kunstvoll‹ und wird dabei in einen begrifflichen Gegensatz zu materiell kostbar gesetzt. Erwähnenswert ist für Borchward weiterhin der Witz und das Geschick, die sich in den besichtigten Objekten äußern. Dies gilt u. a. für die künstliche Maschine – einen als solchen nicht erkennbaren Ofen – mit der Figur eines Laute spielenden Chinesen, der seine Frau auf dem Rücken trägt, die wiederum einen Sonnenschirm hält. Dieser Apparat ist vier Jahre später auch dem Kaufmann Jonas Hanway in seiner Reisebeschreibung eine ausführliche Erwähnung wert: Hanway 1753, Bd. 2, S. 207. Eine weitere »Chinesische Machine« mit Figuren befand sich in der Kunstkammer des Berliner Schlosses und ist im 1744 erschienenen Neuen Europäischen Historischen Reise=Lexicon erwähnt. Schramm 1744, Sp. 149. Beschrieben werden Überraschendes und Verblüffendes, aber auch die Affekte, welche die Kunstwerke im Betrachter bewirken.
Oft belässt Borchward es jedoch bei der Bemerkung, das Gemälde sei »ein recht sehr großes Meister=Stück« oder er beruft sich auf den Sachverstand anderer, wenn es heißt, »Die hohen Säulen [im Marmorsaal des Schlosses Sanssouci] bestanden N[ota] B[ene] aus einem Stück, welches von Kennern für etwas sehr Rares gehalten wird.« Für zahllose Kunstwerke in den Schlössern gilt sicher seine Feststellung: »Ein Liebhaber dieser Kunst stünde gerne viele Stunde[n], um alle Schönheiten genau daran zu betrachten.«
Der früheste bekannte Reisebericht mit einer Beschreibung der Potsdamer Schlösser stammt aus der Feder eines Schweizers, Johann Conrad von Peyer im Hof (1723–1790) aus Schaffhausen, der in einer »Gesellschaft von Berliner Freunden« am 9. und 10. Mai 1746 das Stadtschloss und den Weinberg mit dem im Rohbau befindlichen Schloss Sanssouci aufsuchte. Das Reisejournal befindet sich im Peyer-Archiv des Stadtarchivs Schaffhausen, Sign. G 02.04/A-1169. Auszüge flossen in mehrere Aufsätze von Helmut Eckert ein. Zum Bericht Peyers, die Potsdamer Schlösser betreffend, s. Eckert 1982. Mit der Ausgestaltung der Innenräume hatte man noch nicht begonnen, auch die Fassade war noch nicht mit ihrer Bauplastik verziert. Die Attikaskulpturen und die Hermen an der Gartenfront fehlten Vgl. die früheste Ansicht des Sommerschlosses und des Weinberges von Peyer, Abb. bei Eckert 1982, S. 41. und die gärtnerische Gestaltung der Weinbergterrassen war erst im Werden: »[…] es wird im Schloß noch starck gebauet«. Im Potsdamer Stadtschloss hingegen, das seit 1744 umgestaltet wurde, nutzte Friedrich bereits die königlichen Wohnräume. Die Anwesenheit des Monarchen erlaubte es Peyer nicht, alle diese Räume zu besuchen – nur sieben oder acht wurden ihm zugänglich gemacht, darunter das Speisezimmer in der königlichen Wohnung. Gemeinsam mit dem wenig späteren Reisebericht Borchwards vermittelt die Schilderung Peyers dennoch ein umfassendes Bild von der Organisation solcher Schlossbesichtigungen und lässt ahnen, welche Informationen die Besucher von ihren Schlossführern erhielten. Während es zur Zeit der Drucklegung von Nicolais Beschreibung der Residenzstädte Berlin und Potsdam selbstverständlich war, dass sich Interessierte für eine Schlossbesichtigung beim jeweiligen Kastellan melden konnten, war Peyer – bedingt durch die Anwesenheit des Königs – ein ungehinderter Zutritt nicht möglich. Er berichtet vom Besuch des Potsdamer Stadtschlosses: »Nachmittags ließ Herr von Kameke, Leutnant bei dem 1. Bat[aillon] Garde, […] uns allen eine Visite ansagen. […] Den folgenden Tag, als den 10. Mai vormittags um 11 Uhr, als der König aus dem Schloß herunter nach der Parade ging, besahen wir das Schloß. [i.e. das Potsdamer Stadtschloss] Herr von Kameke hatte uns die Gelegenheit verschafft. Wir mussten in des Kastellans Stube sehr lange warten, ehe der König herunter kam auf die Parade. […] Wir gingen also geschwinde, das Schloß zu besehen. Es wurden uns nicht viele Zimmer gewiesen, weil wir des Königs seine nicht sehen konnten wegen seiner Gegenwart in Potsdam. Die 7 oder 8te aber, die wir gesehen, sind überaus schön. […] Unter den Zimmern, die wir gesehen, war das schönste des Königs Speisezimmer, worin die Tafel schon gedeckt stunde. […] Der Kastellan excusierte sich, dass er uns nicht mehrere, insbesondere des Königs Zimmer nicht könne sehen lassen, worin er sich ordentlich aufhalte und darin er seine Scripturen habe. Sie seien aber von den prächtigsten, insbesondere des Königs Schlafzimmer. Er invitierte uns deswegen nach Potsdam, wenn der König werde nach Pyrmont verreist sein, alsdann könne er uns im ganzen Schloß herumführen. Wir dankten ihm für seine Bemühungen und gaben ihm einen Dukaten, welchen er anfangs absolute nicht nehmen wollte.« Hierbei handelt es sich offenkundig um eine topische Wendung, da es Mitte des 18. Jahrhunderts gang und gäbe war, den Kastellan um eine individuelle Führung zu ersuchen und ihm für seine Mühe ein Trinkgeld zu entrichten. Fixe »Eintrittspreise« im heutigen Sinne für Schlossbesichtigungen hingegen waren im 18. Jahrhundert kaum mit dem Selbstverständnis der fürstlichen Bewohner vereinbar. Siehe hierzu die Ausführungen bei Völkel 2007, S. 16–23. Festgesetzte Preise für die Besichtigung von Schlössern wurden erst Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts – oft in Verbindung mit genauen Öffnungszeiten – üblich. Ein Vorstoß Friedrich Wilhelms II. im Jahre 1801, die Bildergalerie von Sanssouci an festen Tagen für das Publikum bei Erwerb eines »Besichtigungs-Scheines« zum Preis von 4 Groschen zu öffnen, stieß auf Widerstand. Noch im Geist des 18. Jahrhunderts bezweifelte der um den Ausfall der Douceur-Gelder als wesentliche Einnahmequelle fürchtende Galerieinspektor Puhlmann, »ob dis in Königl. Gebäuden schicklich« sei. Zit. nach Eckardt 1974, S. 19.
Von der Praxis Friedrichs, seine Schlösser auch in seinen letzten Jahren zugänglich zu machen und den getroffenen Einschränkungen, berichtet ein anonymer Verfasser 1785 in der literarisch-politischen Monatszeitschrift »Deutsches Museum«: »Ich denke er thut so unrecht nicht, daß er die Zeit, da er abwesend ist, (und welche jedermann weiß, und sich also darnach richten kan) dazu bestimmt, seine Schlösser mit ihren Merkwürdigkeiten und Kostbarkeiten zeigen zu lassen. […] Selbst seine Gegenwart in Sanssouci hindert nicht das neue Schloß und das alte in der Stadt, ja so gar die Bildergallerie und einige seiner Zimmer in Sanssouci zu besehen, wenn man nur die Zeit gehörig zu nutzen weiß, da er mit der Garnison manövrirt, welches gewöhnlicher Weise im Sommer einen Tag um den anderen geschiehet, und jedesmal über eine gute Stunde dauret.« Anonym 1785, Zit. S. 530f. Bestätigt wird dieser Bericht durch die Schilderung eines Besuchers, der im Juni 1773 die Schlösser und den Park von Sanssouci aufsuchte.« Borchmann 1778, 44. Brief, S. 313–320. Der Verfasser der fingierten und anonym erschienenen Briefesammlung war der preußische Kriegsrat Johann Friedrich Borchmann. Auf seiner Tour durch die Bildergalerie, das Weinbergschloss mit den westlich angrenzenden Neuen Kammern Die 1747 nach Plänen Georg Wenzeslaus von Knobelsdorffs erbaute Orangerie wurde 1771–1775 von Georg Christian Unger zum Gästeschloss umgestaltet. und das Neue Palais begleitete ihn der Galerieinspektor Oesterreich. Es scheint bei der Besichtigung kein Hinderungsgrund gewesen zu sein, dass zur selben Zeit die Schwestern Friedrichs II., Philippine Charlotte und Amalie von Preußen, seine Schwägerin Luise Amalie von Braunschweig-Wolfenbüttel und deren Tochter Wilhelmine von Preußen sowie Ludwig IX. von Hessen-Darmstadt im Neuen Palais logierten. Die fürstlichen Gäste nahmen vom 6. bis zum 23. Juli 1773 Quartier im Neuen Palais in Potsdam. Rödenbeck 1842, S. 81-82. An der Öffnungspraxis scheint sich also in den über vierzig Regierungsjahren des Monarchen nichts geändert zu haben. Und auch sein Nachfolger, Friedrich Wilhelm II., übernahm die unter seinem Onkel geübte Gepflogenheit und erteilte in einer Verfügung vom 30. Juni 1787 die Erlaubnis: »daß bei dero [des Königs] Abwesenheit von Potsdam, distinguirte und gut gekleidete Personen, in Sanssouci und in den Lustgarten in der Stadt promenieren können.« Allerdings wird gefordert, dass »auch dergleichen Personen, von denen man an sich nichts tadelhaftes oder sträfliches erwartet«, nichts »mit den Händen und Füßen« berühren und an den Gartenskulpturen »nichts betaste«. Zit. nach Huth 1929, S. 20. Wie schon 55 Jahre zuvor im Schlosspark von Charlottenburg scheint das Verhalten der Parkbesucher jedoch Anlass zur Kritik gegeben und Sanktionen nach sich gezogen zu haben. So heißt es in einem an den König gerichteten Rapport vom 23. August 1796: »[…] Das Potsdamsche Publicum erwidert die gnädige kgl. Erlaubniss, in Sans-Souci zu promeniren, mit Undank. Vornehme und geringe Leute sind äußerst ungezogen […]« Sello 1888, S. 420, Nr. 83.
Borchwards Führung durch das Schloss Sanssouci dauerte nach eigenem Bekunden höchstens zwei Stunden. Begleitet wurde er vom Kastellan, der ihm den Weg durch das Schloss wies und auch im Garten wurde er offensichtlich geführt. Dort wusste man ihm zu seinem Bedauern »den Ort, wo die großen Fontainen eigentlich sollten angebracht werden«, nicht zu bestimmen. Nach der Abfolge der beschriebenen Räume wurde Borchward durch das Vestibül in den Marmorsaal gelassen, von dort ging es durch die Wohnung des Königs direkt zum Arbeits- und Schlafzimmer, das durchschrittene Audienz- oder Speisezimmer wird erst im Anschluss an die Kleine Galerie gewürdigt. Seine Beschreibung des Konzertzimmers vermengt Borchward mit jener des Arbeits- und Schlafzimmers, dies gilt für die Decke mit einem vergoldeten Spinnennetz im Zentrum und die Gemälde von Antoine Pesne nach den Metamorphosen des Ovid (jeweils im Konzert‑, nicht im Schlafzimmer). Borchward sieht damit die privatesten Räume der königlichen Wohnung: Das Arbeits- und Schlafzimmer sowie die dahinter liegende Bibliothek, in der er seinem Drang zum Stöbern – dem Kosten »rare[r] und verbothene[r] Frucht« – unter den Augen des Kastellans nicht nachkommen konnte. Ferner die Kleine Galerie, in der Friedrich Werke der französischen Maler Watteau, Pater und Lancret zusammen mit antiken Skulpturen aus dem Nachlass des Kardinals Polignac sammelte. Und schließlich die Gästezimmer »für diejenigen Herrn Officiers und Räthe, welche [der König] in Sans Souci gemeiniglich beÿ Sich zu haben pflegt«. Besonders erwähnenswert sind Borchward stets die hohen Summen, die Friedrich II. für einzelne Kunstwerke aufwendete – z. B. einen Pariser Leuchter aus Kristall de roche zu 4000 Reichstalern, die Skulpturen von Adam im Marmorsaal hätten 1000 Reichstaler pro Stück gekostet, Blumenstücke von Huysum das Doppelte. Mit Erwähnung dieser Details gibt er sich als Eingeweihter zu erkennen, dem offensichtlich Informationen aus gut informierter Quelle vor Ort – sicher dem begleitenden Kastellan – zugetragen wurden.
Auch vom Tagesablauf des Königs weiß Borchward detailliert zu berichten. Der Tagesablauf des Königs fand auch in zahlreichen späteren Schriften anderer Autoren Erwähnung und war keineswegs Privatsache, eher Staatsangelegenheit. Siehe hierzu Koch 2012, S. 312-321. Borchwards Bericht, der früheste überlieferte, wird durch die zehn Jahre später (1759) im Druck erschienene Schilderung von Friedrichs Vertrautem, Feldmarschall James Francis Edward Keith (1696–1758), bestätigt. Keith 1759, S. 7–11. Die Abweichungen sind minimal, Borchward scheint gut informiert gewesen zu sein. So gehe der König laut Borchward um Mitternacht zu Bett und schlafe selten mehr als vier Stunden. In Landesangelegenheiten arbeite Friedrich bis zehn oder elf Uhr, nehme anschließend die Parade ab, es folge das Mittagessen (nach Keith gegen 12:30 Uhr). Des Nachmittags ziehe sich der König zwischen 15 und 18 bis 19 Uhr zum Lesen und Studieren in die Bibliothek zurück. Wurde Friedrich von seinem Vorleser begleitet, bildete der vorgetragene Stoff die Grundlage für einen gelehrten Austausch. Um 19 Uhr gehe es zur Promenade in den Garten, das anschließende Konzert dauere von 20 Uhr etwa eine Stunde oder etwas länger. Es folge (laut Keith um 21:30 Uhr) das Abendessen, dem sich eine Unterhaltung oder ein etwa einstündiges Lesen anschließe – auch diese Details entsprechen der Schilderung des Feldmarschalls.
Insgesamt scheint den Kastellanen und Kammerdienern bei der Mythenbildung um Friedrich eine wesentliche Rolle zuzukommen: Sie waren es, die Besucher durch die Räume des Königs führten, in denen »die Tafel schon gedeckt stunde« (Peyer zum Speisezimmer im Potsdamer Stadtschloss) und es auf dem Schreibtisch Friedrichs in seinem Schlafzimmer in Sanssouci »sehr arbeitsam« (Borchward) aussah. Im Potsdamer Stadtschloss konnte Giacomo Casanova 1764 die Gemälde im Schlafzimmer Friedrichs bewundern. Der Kammerdiener zeigte ihm zudem eine alte Mütze, die der König bei Erkältung trug, und auch hier durfte der von Arbeitsutensilien bedeckte Tisch nicht fehlen. Casanova 1966, S. 87f. Im Potsdamer Neuen Palais wurde später der wie zufällig abgelegte, abgetragene blaue Rock des Königs gezeigt, mit dem die bescheidene Lebensführung des Königs bewiesen wurde. Indes waren nicht alle Besucher vom zufälligen Herumliegen dieses reliquiengleichen Kleidungsstücks überzeugt. Zum blauen Rock s. Anm. 28 bei Michael Knobloch: Vor den Kulissen der Macht. Friedrich II. und der friderizianische Hof in deutschen Reiseberichten des späten 18. Jahrhunderts, in: Reiseziel Potsdam im 18. Jahrhundert. Wahrnehmungsmuster, politische Interessen und interkulturelle Referenzen in Berichten europäischer Reisender, Hannover (in Vorbereitung).
Borchward ist auch die spärliche Bewachung der königlichen Residenz erwähnenswert – hier kündigt sich ein Topos an, der auch in späteren Berichten tradiert wird, Vgl. z. B. Giacomo Casanova im Jahre 1764. Casanova 1966, S. 75. – Guibert 1777, S. 14. – Guibert 1788, S. 190. aber offensichtlich auf einen wahren Kern zurückgeht. Der Verzicht auf eine stärkere Bewachung mag auch darauf zurückzuführen sein, dass die Einwohnerschaft Potsdams als Garnisonsstadt zum großen Teil aus Militärangehörigen bestand und die Stadt von einer Stadtmauer, der Akzisemauer, umgeben war. Diese diente nicht der Befestigung, sondern sollte die Desertion von Soldaten und den Warenschmuggel verhindern. Schildwachen seien weder bei Tag noch bei Nacht anzutreffen, lediglich »ein paar alte abgelebte Potsdammer von des hochseel[igsten] Königs Hinterlaßenschafft in Heÿducken Heidúk, urspr. ungar. Bezeichnung für einen leicht bewaffneten Soldaten zu Fuß. In Deutschland wurde die Bezeichnung auf Diener in der Tracht ungarischer Heiducken übertragen, die vornehmlich die Kutsche oder Sänfte der Herrschaft begleiteten. Kleidung [patroullieren] den Garten auf und nieder, um zu verhüten; daß der Pöbel nicht darinn herumschwärme und etwas verderbe.« Borchward zieht als Fazit: »Glückseeliger König! der die Hertzen seiner Unterthanen zu Wächtern um sich hat.« – und interpretiert somit Bauten und Gärten von Potsdam als Zeichen eines starken, weisen und geliebten Herrschers.
Die Rolle Friedrichs als Bauherr hat die Kunstgeschichtsforschung nachhaltig beschäftigt, Mythos und Wahrheit sind dabei jedoch kaum mehr zu trennen. Sowohl die Frage, auf wen die Idee des Weinbergschlosses zurückzuführen sei, als auch die Frage, wer als Inventor friderizianischer Raumgestaltungen zu gelten habe, sind Gegenstand kontroverser Diskussion. Vgl. die Diskussion um die Gestaltungsanteile an friderizianischen Raumentwürfen von Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff als »directeur des bâtiments« und Johann August Nahl, »directeur des ornements«. Zusammenfassend in: Schloss Sanssouci. Amtlicher Führer, 18. Aufl. Potsdam 1996, S. 43–46. Der geistig-schöpferische Anteil, den Friedrich II. bei der Planung des Weinbergschlosses im Diskurs mit seinem Architekten Knobelsdorff und anderen Künstlern hatte, lässt sich nicht eindeutig abgrenzen. Friedrich lieferte eigenhändige Entwürfe zur Terrassenanlage mit dem davorliegenden Gartenareal sowie Grundrissskizzen mit Angabe der Raumdispositionen im Schloss Sanssouci (Abb. 1, Abb. 2) Zur Diskussion dieser und der folgenden Zeichnung Friedrichs II. s. Giersberg 1986, S. 316f., Nr. 3, 4 (mit Lit.). – Auch später beteiligte sich Friedrich II. unmittelbar an den Gestaltungen seiner Bauten. So erhielt Johann Christian Hoppenhaupt eigenhändige Zeichnungen des Königs zu Innenraumdekorationen des Neuen Palais zur weiteren Ausarbeitung. Büsching 1788, S. 270. und approbierte höchstselbst die im Knobelsdorff’schen Baubüro entstandenen Architektenpläne (Abb. 3) Zur Diskussion dieses Plans s. Ausst. Kat. Knobelsdorff 1999, S. 237, Kat. Nr. V. 12 (mit Lit.). . Der frühe Reisebericht Peyers äußert sich noch während der laufenden Bauarbeiten in Sanssouci zum Anteil, den Friedrich II. an der Planung seines Schlosses gehabt habe. Peyer berichtet, der Kastellan des Potsdamer Stadtschlosses Johann Boumann (1706–1776), seines Zeichens königlicher Baumeister, habe ihm »vielerlei Risse von allerhand kostbarer Architekten-Arbeit« gezeigt, »mit welcher der König seine Schlösser in Potsdam und das neue Lustschloss im Weinberg« ausstatten wolle. Laut Boumann habe »der König […] die gedachten Risse selbst inventirt und ohnehin entworfen, was nämlich das Hauptwerk anbelangt.« Der König sei, so Boumann, »ein großer Kenner von diesen Sachen« und alles, was von ihm herkomme sei »von dem auserlesensten goût«. Gleichwohl habe er »auch sehr geschickte Baumeister unter sich, welche das Ihrige auch beitragen«, darunter als vornehmster der Herr von Knobelsdorff. Noch während des Baus des Weinbergschlosses wird also der zugrunde liegende Entwurf auf den König selbst zurückgeführt, die Ausführung erfolgte im Zusammenspiel mit seinem kongenialen Architekten. Und auch Borchward setzt Schloss und Herrscher gedanklich in Eins: Das prächtige Haus des Fürsten zeugt von dessen Größe – als König und als Baumeister.
Mit welcher literarischen Öffentlichkeit rechnet der Autor, für wen und zu welchem Zweck schreibt er seinen Reisebericht? Borchwards Bericht ist zugleich Reisebeschreibung wie auch Zeugnis des Freundschaftskults im 18. Jahrhundert (siehe hierzu auch den einführenden Aufsatz von R.-S. Pegah). Das 14-seitige Manuskript sei, so schreibt er, »zum Vergnügen und Dienst meiner Freünde« entstanden und an diesen – anonym bleibenden – Kreis der Leser adressiert. Vielleicht diente es dem Austausch oder der gemeinsamen Lektüre innerhalb des literarischen Kreises, als deren Protagonist Borchward wirkte. Reisen waren wie Freundschaftsbünde, Briefwechsel und Lesegesellschaften wesentliche Elemente der bürgerlichen Emanzipation. Sie dienten dem Knüpfen von gesellschaftlichen Beziehungen und dem Gedankenaustausch und hatten entscheidenden Anteil an der Konstituierung der deutschen Aufklärungsgesellschaft. Vgl. hierzu u. a. Bödeker 1986. Die sich gerade in Berlin in der zweiten Jahrhunderthälfte herausbildende literarische Öffentlichkeit mit ihren Salons sowie der in Briefen gepflegte Freundschaftskult bildet den Rahmen, in dem Borchwards Reisemanuskript zu verorten ist. Es steht im Spannungsfeld umfassender geistesgeschichtlicher Prozesse – dem Aufstieg des Bürgertums, den neuen Ideen der Aufklärung, der Entwicklung einer deutschen Literatur – die sich nicht zuletzt in der zunehmenden Wertschätzung der deutschen Sprache im Gegensatz zur französischen Lektüresprache Friedrichs äußern. So merkt Borchward das Fehlen deutschsprachiger Literatur in der königlichen Bibliothek von Sanssouci an und er bemängelt solche Einseitigkeit auch bei dem unter Friedrich jüngst eingerichteten Hoftheater im Potsdamer Stadtschloss. Zu dessen Vorstellungen waren auch ausgewählte Grenadiere des ersten Bataillons der Garde als Zuschauer zugelassen und Borchward berichtet mit Bedauern, »daß bloß die Frantzosen und Italiäner unter der Guarde, hierzu können gelaßen werden, denn unsere edle Mutter Sprache ist noch immer gantz unverdienter Weise von dem Theatre beÿ Hoffe verbannet.« Der Wert seines Manuskripts geht somit noch über die große Bedeutung, die es allein für die Kunstgeschichte der preußischen Schlösser hat, hinaus. Es ist das literarische Zeugnis eines Angehörigen des gehobenen Bürgertums, der in den sich entwickelnden literarisch-kunstinteressierten Kreisen seines Standes agierte und dessen überlieferte Briefe ihn als einen Vorreiter der Berliner Aufklärung ausweisen.