Perspectivia

(Mein teuerster Bruder

Ich bin seit vorgestern wieder hier. Ich habe die Freude gehabt, zwei Ihrer Briefe vorzufinden. Ich versichere Ihnen, mein teurer Bruder, dass Sie mir viel mehr Freude verursacht haben, als alle meine Reisen mir Vergnügen gemacht haben. Meine Rückkehr ist viel anstrengender und viel mühsamer gewesen, als alle meine Fahrten in Italien und Frankreich. Ich gebe zu, dass ich mit Bedauern aus Italien abgereist bin und vielleicht niemals eine Zerstreuung gehabt habe, die mich so gefesselt hat, wie jene, die mir dieser Aufenthalt verschafft hat. Ich habe tausendmal gewünscht, dass Sie sie teilen könnten. Alle Vorstellungen und die Nachrichten, welche man von diesem Land hat, sind viel geringer als das, was ich vorgefunden habe. Und um aufrichtig zu sprechen: Ich habe meine ganze Vernunft und alle Lebensweisheit nötig gehabt, um es nicht zu sehr zu vermissen. Ich sammelte an Plänen und Entwürfen, die ich an Ort und Stelle machen ließ, ein, was ich konnte. Denn diejenigen, die man bereits gemacht hatte, waren nicht korrekt. Ich werde die Ehre haben, sie Ihnen zuzusenden, sobald ich alles aus Rom erhalten habe. Ich ließ von Venedig dorthin schreiben, um alle Proben von gelbem Marmor zu bekommen. Der schönste antike wird äußerst selten, ebenso wie der grüne. Der Porphyr ist der allerschönste, den es dort gibt, wenn er poliert ist. Für 20 Zecchinen, die 60 deutschen Thalern entsprechen, kann man Halbsäulen haben, oft sogar für weniger Geld. Man muss sie von Livorno auf den englischen Schiffen einschiffen lassen, danach stellt nur noch die Fähre ein Wagnis dar. Was die Gemälde anbelangt, so sind die Ankäufe viel schwieriger. Jedoch befinden sich die römischen Fürsten, obwohl sie sehr reich sind, manchmal in großer Geldnot und verkaufen die Originale, an deren Stelle sie Kopien setzen, was wir in mehreren Galerien bemerkt haben. Die beiden Maler Mengs und Batoni Vertiefend zur Begegnung der Markgräfin mit Mengs und Batoni 1755 in Rom vgl.: {#419 Krückmann, 2004: 23–32.} werden als erstklassig gerühmt. Sie nehmen 100 Zecchinen für eine Figur. Der erste ist eine Mischung aus Raffael und Guido. Der zweite erinnert an Carlo Maratta, aber seine Farbgebung ist viel schöner. Man zählt 75 Tausend antike Statuen in Rom – ohne die Reliefs, Gefäße und Inschriften. Es gibt kein Haus, wie ärmlich es auch sein mag, das nicht irgendwelche Büsten oder Statuen hätte. Dies bewirkt, dass man diese Sachen für nichts haben kann, da das Geld äußerst rar ist. Ich hatte 1200 Taler gespart, welche ich dafür verwandt habe, und für die ich prächtige Stücke bekommen habe. Darunter war ein griechischer Merkur, was die Antiquare weinen ließ, als sie erfuhren, dass er [jetzt ]mir gehört. Das waren viele Einzelheiten, die ich glaubte, Ihnen mitteilen zu müssen, mein teurer Bruder, falls Sie versucht wären, irgendeine von diesen Sachen zu erwerben. […] [… ]Man spricht hier nur vom Krieg. Ich mag Mars als Standbild sehr, aber ich verabscheue seine Herrschaft. Dennoch verehre ich ihn, wie die Indianer es mit dem Teufel machten, und ich hoffe, dass er deshalb meine Gebete erhört und seinen Zorn gegen jene wendet, die ihn zwingen, seine Macht kund zu tun. Als ich durch Tirol reiste, war ich äußerst überrascht von der großen Begeisterung des Volkes für mich. Sie sprechen größtenteils Italienisch. Ich verstand, wie sie zueinander sagten: „Komm, sieh’ dir die Schwester des Königs von Preußen an, des großen Monarchen.“ Der Andere fragte: „Aber ist es wirklich seine Schwester? Dann sollte ich sie sehen, denn er ist ein großer Mann und ein zuvorkommender Mensch.“ Und gleichzeitig erwiesen sie mir alle Dienste, die in ihrer Macht standen. Ich war äußerst versucht, von dort einige große, belebte Standbilder anzuwerben; was einfach gewesen wäre, wenn ich nicht die Folgen gefürchtet hätte, denn sie waren bereit, mir zu folgen. Ich rechne damit, in 2 oder drei Tagen nach Bayreuth abzureisen. Ich verspüre die Nachwehen meiner Erschöpfung und des Witterungswechsels, der so heftig ist, dass ich mich inmitten des Winters glaube. Dieser Winter erscheint mir gleichwohl erträglich, da ich mich näher bei Ihnen sehe und überzeugt bin, von neuem das Glück zu genießen, Sie persönlich von der tiefen Hochachtung und der unerreichten Zuneigung zu versichern, mit welcher ich auf ewig sein werde,

mein teuerster Bruder,
Ihre ergebenste, gehorsame Schwester und Dienerin
Wilhelmine

Erlangen, den 11. August 1755.)