Perspectivia

(Mein teuerster Bruder,

Ich bin mehr als ich es auszudrücken vermag, berührt von allen Gunstbezeugungen, die Sie mir in Ihrem letzten Brief zuteilwerden lassen. Man muss soviel leiden wie ich, um sich durchringen zu können, eine Reise zu unternehmen, die mich so weit von dem entfernt, was mir am liebsten ist. Ich hätte indessen ohne weiteres darauf verzichtet, mein teuerster Bruder, wenn Sie sie missbilligt hätten. Ich halte mein Leben für ziemlich geringfügig. Ich habe dem Tod oft aus der Nähe ins Auge gesehen, ohne ihn gefürchtet zu haben. Aber der kraftlose Zustand und die fortwährenden Leiden, die ich ausstehe, lassen mich für die Zukunft einen noch schlimmeren Zustand befürchten, wenn ich nicht versuche, dem vorzubeugen. Das ist kein Leben, der Fähigkeit zu denken sozusagen beraubt zu sein und nicht die geringste Annehmlichkeit des Lebens kosten zu können. Diese Gründe haben mich überzeugt, diese Luftveränderung auszuprobieren, welche, wie man mir versichert, mehrere Personen wieder gesundgemacht hat, die im selben Zustand waren wie ich. Anstatt zu genesen, glaubte ich, dass ich sterben würde, wäre ich, mein lieber Bruder, der teuren Nachrichten von Ihnen beraubt. Sie werden auf dieser Reise mein einziger Trost sein, mein Vergnügen und mein Glück, wie sie es überall sind, wo ich mich aufhalte. Ich habe mich nach allen Seiten erkundigt, um zu wissen, auf welche Weise ich sie am geschwindesten empfangen werde, und man versichert mir, dass der kürzeste Weg ist, sie hierher zu adressieren. Unsere Abreise ist für den 10. [Oktober 1754 ]festgesetzt. Wir werden den Namen des Grafen von Zollern Comte de Zollern = Stammväter sämtlicher Hohenzollern. {Zu Quellen ab dem 16. Jh., die die Grafen von Zollern bis in das 11. Jh. zurückdatieren, siehe: #33 Windt, 2012.} annehmen, da wir nur zu bekannte oder zu barbarisch klingende Namen im Lande des Markgrafen haben, die die Franzosen niemals würden aussprechen können. Wir werden über Ansbach reisen, und wir werden uns einen Tag in Stuttgart aufhalten, um zu versuchen, die Gemüter dort zu beruhigen, die anfangen, sich zu besänftigen. Ich werde die Ehre haben, Ihnen zu schreiben, mein teuerster Bruder, von allen Orten auf der Strecke, wo ich verpflichtet sein werde, zuhalten. Diese Beschäftigung liegt mir zu sehr am Herzen, um nicht davon zu profitieren, so gut ich es kann. Es gibt nichts, das der tiefen Hochachtung und der lebhaften Zuneigung gleichen kann, mit welcher ich mein ganzes Leben sein werde,

mein teuerster Bruder,
Ihre sehr ergebene, gehorsame Schwester und Dienerin Wilhelmine

[o. O. ][Bayreuth][? ]Den 1. Oktober 1754.)